Kornspeicher in der Gemeinde Reiden

Johann Kandid Felber

In den gedruckten Urkunden über das Stift Beromünster berichtet bereits die vierzigste dieser Urkunden aus dem Jahre 1236 vom Speicher der Chorherren. Dies ist die älteste urkundliche Erwähnung eines Speichers im Luzerner Land. Bald nach diesem ersten Zeug­nis häufen sich jedoch in der gleichen Urkunden-Sammlung die Angaben über Speicher. Im Jahre 1303 erliess das Chorherrenstift sogar eine Verordnung über den Bau von Speichern. Auch die Stadt Luzern besass frühe Getreidespeicher bereits um das Jahr 1300. Laut Spitalurbar standen 1575 im Bruch und im «undern Grund» gar 16 Speicher an der Zahl.

In Notjahren und «jämmerlich türen zyten» wurden obrigkeitliche Verbote erlassen, Getreide bei Bauernhöfen, Speichern und Mühlen zu verkaufen. Nur am «fryen Markt» durften Getreidekäufe abgeschlossen werden, damit das «liebe Getreide» nicht etwa «ohne Ansehen der christlichen Liebe verkauft, verteuert und dem gemeinen Manne entzogen werde».

Doch, wären die bäuerlichen Schätze nicht sinnvoller im Wohnhause aufbewahrt worden? Uns Heutigen scheint es so. Die Erbauer der Speicher hatten jedoch ihre Er­fahrungen. Das hölzerne Bauernhaus war in unsern Gegenden ein Rauchhaus ohne Ka­min. Nicht nur die «Hurt» (Rauchfang) über der Feuerstätte war russig schwarz, sondern das Pech hängte sich bis unters Dach in das Gebälk. Was Wunder, wenn nicht selten das Wohnhaus in schrecklich kurzen Augenblicken in hellen Flammen aufging! Seitdem ein Kamin Rauch und Russ übers Dach befördert, ist die Gefahr zwar geringer geworden, aber immerhin, jede Feuerstätte bleibt doch von Gefahr umlauert. Wir verstehen den Bauersmann, der seine Schätze einem freistehenden Bau anvertrauen wollte, der frei blieb von einer Feuerstätte.

«Der liebe Gott bhüet den Spicher vor Für und Brand». Diese und ähnliche Bitten kehren immer wieder in Speicherinschriften. Den Speicher vor Feuer zu bewahren, diesem Anliegen galten zahlreiche Vorkehren des Erbauers. Vorsorglich ward der neue Speicher einen Steinwurf entfernt vom Wohnhaus aufgerichtet. Und zwischen Haus und Speicher wurde eine Linde grossgezogen, damit sie schützend ihre Äste ausbreite, sollten einmal Feuerfunken vom Wohnhaus aufsteigen und Gluthitze die Umgebung bedrohen.

Noch eine weitere kluge Vorkehr. Das Wohnhaus blieb den ganzen Tag über offen; auch dann, wenn die ganze Familie ausser dem Hause auf dem Felde arbeitete. Der Spei­cher hingegen wurde vorsorglich verschlossen. Und nur, wem der Griff zum Holzschloß vertraut war, konnte öffnen. An keinem Wohnhaus finden wir zudem solch kräftige schmiedeiserne Schlösser wie am Speicher.

Des Speichers Standort. Suchst du auf einem Bauernhof nach dem Speicher, dann rat ich dir: Guck dich um im Hausflur oder vom Stubenfenster her, und du wirst ihn bald entdecken. So war es ausgedacht vom Hofbesitzer: von der Wohnstatt her will er seine Schatzkammer hüten wie den Augapfel. Der Bauer will sich vom Wohnhause her die «Trifti» wahren auf seinen Speicher. Diesem Grundsatz zulieb hat jedes Hindernis im Gelände zu weichen. So kommt es, dass sich unser Speicher in gar mannigfacher und erfinderischer Weise dem Umgelände anschmiegt. Bald betreten wir einen Speicher zu ebener Erde, während die Rückseite majestätisch über eine Böschung hinausragt. Ein an­derer ist rücklings an den Berg gedrückt, und wir müssen den Speicherschoss über eine hohe Stiege erreichen. Andere Speicher stört durchaus nicht das Unsymmetrische, ihre Stirnseite einem ansteigenden Strässchen zuzukehren. Nur dort, wo das Wohnhaus auf ebenen Talboden hingebaut wurde, steht auch der Speicher in der Ebene. Um seinen Vorrang zu betonen, wird er jedoch über den Boden empor «glüpft».

Bis vor hundert Jahren barg der Speicher fast den gesamten Ertrag des Bauernfleisses. Von lateinischen spica = Getreideähre leitet sich der Name her. Spyr oder Spicher.